Bild vom Verwaltungsgebäude der Handwerkskammer Chemnitz
Schmidtfoto-Chemnitz

"Es fehlt die Perspektive"

Handwerkskammerpräsident Frank Wagner spricht in einem Interview über die aktuelle Lage für das Handwerk und blickt zurück auf die erste Hälfte des Jahres 2024:

 

Herr Wagner, am Ende des vergangenen Jahres haben Sie gesagt: „Wir kämpfen ja auch immer noch mit den Folgen der Ereignisse der Vorjahre.“ Wird die Liste der betreffenden Jahre mit 2024 noch länger?

Das ist schwer zu sagen. Wenn ich mich an den Ergebnissen der aktuellen Konjunkturumfrage für den Kammerbezirk orientiere, dann können wir festhalten: Es geht zwar nicht weiter bergab, aber bergauf auch noch lange nicht. Eigentlich spricht man immer von einer Talsohle, die durchschritten wird. Gegenwärtig verharren wir aber bei der Handwerks-Konjunktur auf einem niedrigen Niveau. Und eine deutliche Belebung der Konjunktur, wie wir sie kurz nach Corona gesehen haben, ist gegenwärtig nicht erkennbar.

Nach der Corona-Krise ging es schneller?

Corona war sehr einschneidend. Die jetzigen Probleme durch den Krieg in der Ukraine, durch Inflation und hohe Zinsen sind zwar vom Krisenpotential für die Wirtschaft ähnlich. Aber mit dem Ende aller Corona-Beschränkungen hat die Wirtschaft eben gespürt, dass das Schlimmste überstanden ist. Es war mehr Optimismus da.

Der jetzt fehlt?

Es fehlt die Perspektive und vor allem fehlen ein Stück weit das Vertrauen und die Gewissheit, dass die Politik die richtigen Entscheidungen trifft, um die eben beschriebene Talsohle wirklich zu verlassen.

Auf die Politik zu schimpfen ist recht einfach.

Ich weiß, dass man es niemanden immer Recht machen kann und sich irgendwer stets benachteiligt fühlt. Aber fast schon im Wochenrhythmus ertönt in Deutschland die deutliche und vor allem berechtigte Kritik der Wirtschaft am Handeln der Bundesregierung. Nicht nur das Handwerk beschwert sich, auch Industrie oder Arbeitgeberverbände sagen klipp und klar: Die Lage ist schwierig und es müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden, um da rauszukommen.

Und passiert was?

Nein, nicht wirklich. Entweder die Kritik beziehungsweise die Beschreibung der Lage wird als unberechtigt abgestempelt, was zum Beispiel der Bundeskanzler gern macht. Oder es gibt zwar immer mal Ankündigungen, beispielweise für mehr Bürokratieabbau, dem Aussetzen des Lieferkettengesetzes oder Steuererleichterungen. Die kommen dann eher von den anderen beiden Koalitionspartnern. Aber ganz ehrlich: Auch hier passiert nicht viel oder man streitet sich darüber untereinander.

Eine frustrierende Situation.

Für die Betriebe ist das eine schwierige Lage. Genauso aber auch für deren Mitarbeiter. Keiner kann gerade so richtig einschätzen, wie es weitergeht, siehe auch die Konjunkturergebnisse. Und die kürzlich stattgefundenen Wahlen zeigen gerade bei SPD, Grünen und FDP deutlich, dass nicht immer die Europathemen im Mittelpunkt der Wähler gestanden haben, sondern am Ende auch die Politik der Bundesregierung. Stichwort ‚Denkzettel‘

Haben Sie wenigstens Unterstützung durch die sächsische Staatsregierung?

Hier ist die Zusammensetzung zumindest zu einem Drittel eine andere, was es nicht einfacher macht: Der Ministerpräsident ist engagiert und setzt sich auch und gerade für die sächsische Wirtschaft ein. Darüber sind wir sehr froh. Aber er hat eben das falsche Parteibuch, um wirklich Einfluss auf die Bundesregierung nehmen zu können.

Es gibt doch auch noch vier Minister von Grünen und SPD in Dresden…

…die naturgemäß und verständlicherweise das Handeln der Bundesregierung eher unterstützen. Ich will aber nicht nur kritisieren. Wirtschaftsminister Dulig hat in den vergangenen Jahren viel für das Handwerk getan, gleiches gilt für Staatsminister Günther, auch wenn er aufgrund der Ressortzuständigkeit nicht unser Hauptansprechpartner ist.

Aber?

Aber wenn der sächsische Wirtschaftsminister auf Biegen und Brechen ein neues Vergabegesetz durchdrücken will und die Bedenken der Wirtschaft beiseiteschiebt, dann hilft das den Betrieben nicht.

Das Vergabegesetz ist aber jetzt trotzdem im Landtag angekommen und wird beraten.

Schon das war und ist unnötig, zumal der Ministerpräsident und auch die CDU-Fraktion deutlich gemacht haben, dass dieses Gesetz nicht mit ihnen zu machen sein wird. Wenn der Wirtschaftsminister dennoch den formellen Prozess so kurz vor der Landtagswahl eingeleitet hat, so beteiligen sich die Handwerkskammern natürlich daran und nehmen im Rahmen der Anhörung dazu Stellung. Und wir sind dabei eindeutig: Es braucht kein neues Vergabegesetz beziehungsweise haben vergabefremde Kriterien in einer Novellierung nichts zu suchen. Aber in dieser Legislaturperiode wird hier eh keine Entscheidung mehr fallen. Dafür ist die Zeitschiene einfach zu knapp gewählt.

Sie sprechen es an. Die Legislaturperiode endet und am 1. September finden Landtagswahlen statt. Was erwarten Sie?

Das ist schwer einzuschätzen und Prognosen oder gar Wünsche werde ich nicht abgeben. Die Europa- und Kommunalwahlen im Juni haben ein Stimmungsbild abgegeben. Ob man das einfach so auch auf die Landtagswahlen übertragen kann, ist fraglich.

Wichtig für den 1. September ist aber: Die Wahlen der vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, dass diese gern für eine Abrechnung für die Politik im Bund oder in Europa verwendet wird. Das sollten wir aber gerade nicht tun, sondern vielmehr beim Ankreuzen die Landesthemen in den Mittelpunkt rücken. Nur so kann die positive Entwicklung, die Sachsen seit 1990 gegangen ist, auch weitergeführt werden.

Aber Sie haben doch Wünsche?

Natürlich hat das Handwerk Wünsche für die Wahl und an die daraus sich ergebende Regierungsmehrheit – wie auch immer diese aussehen wird. Die Stärkung der dualen Berufsausbildung, Bürokratieabbau oder allgemein eine Politik mit dem und für das Handwerk.

Die Stärkung der dualen Berufsausbildung stellen Sie sich wie vor?

Erst einmal: Der Freistaat und die aktuelle Staatsregierung unterstützen hier wirklich gut und haben in den letzten Jahren viel zur Stärkung der Berufsausbildung getan, zu der ich hier nicht nur die Auszubildenden zählen möchte, sondern zum Beispiel auch die Meister. Bei denen wurde 2023 der Meisterbonus verdoppelt, was den angehenden Meistern wirklich hilft. Auch bei der Finanzierung der Überbetrieblichen Lehrunterweisung stellt sich der Freistaat seiner Verantwortung und hat entsprechende Haushaltsmittel eingeplant – anders als im Bund, wo immer wieder Streichungen vorgesehen sind.

Klingt doch alles gut…

Fast. Wir wünschen uns beispielsweise seit einigen Jahren die Einführung einer Prämie für Ferienpraktika im Handwerk. Warum soll etwas, das in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, in Thüringen oder ganz neu in Schleswig-Holstein funktioniert, nicht auch in Sachsen gehen?

Warum?

Weil die Staatsregierung hier keine Notwendigkeit sieht und die Idee ablehnt, obwohl die anderen Bundesländer von einem Erfolgsmodell sprechen, bei dem mit überschaubarem Aufwand Berufsorientierung stattfindet.

Es gibt noch mehr Baustellen, wie zum Beispiel die Teilschulnetzplanung für die beruflichen Schulzentren, ein Azubi-Ticket oder ganz allgemein der Lehrermangel über alle Schultypen hinweg, der sich letztlich aufgrund fehlendem Wissen der Schüler irgendwann bei der Ausbildung und im Berufsleben niederschlagen kann.

Und beim Bürokratieabbau?

Das ist ein Thema, welches uns seit Jahren beschäftigt – deutschlandweit. Es passiert wenig. Die Bundesregierung hat zwar mal wieder ein Bürokratieentlastungsgesetz vorgelegt, in dem aber die Hinweise des Handwerks kaum Beachtung gefunden haben. In Sachsen, wo der Wahlkampf nun langsam aber sicher beginnt, wird der Bürokratieabbau auch eine Rolle spielen. Es bleibt abzuwarten, ob dann den Worten wirklich Taten folgen werden. Die Handwerkskammern haben beispielsweise eine Art Bürokratiemoratorium gefordert, das jetzt tatsächlich auch in Wahlprogrammen der Parteien auftaucht. Aber ein Wahlprogramm ist eben noch kein Koalitionsvertrag. Und wenn ich mir das Vergabegesetz anschaue, das auch 2019 im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, dann hätte das in seinem jetzigen Entwurfsstand auch deutlich mehr Bürokratie bedeutet.

Das sind konkrete Forderungen. Aber helfen diese, um aus der von Ihnen beschriebenen Talsohle herauszukommen?

Das sind eher Forderungen, um die Rahmenbedingungen für das Handwerk zu verbessern, wenn es denn dann endlich wieder wirklich nachhaltig aufwärts geht. Kurzfristig gibt es andere Stellschrauben, um die Konjunktur anzukurbeln. Gerade mit Blick auf den Bau wäre vorstellbar, die unter anderem beim privaten Bauen derzeit freien Kapazitäten der Betriebe bei Projekten der kommunalen Ebene zu nutzen. Dass ein Investitionsstau besteht, ist nicht übersehbar. Bei der Finanzierung müssten Freistaat und Bund ein Zeichen setzen und würden damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Konjunktur ankurbeln und gleichzeitig das Land weiter modernisieren.

Haben Sie Hoffnung?

Wir hatten eben vom Denkzettel bei den Wahlen gesprochen. Vielleicht führt dieser zur Einsicht, dass tatsächlich was gemacht werden muss, um die Lage zu verbessern.

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