Bild vom Verwaltungsgebäude der Handwerkskammer Chemnitz
Schmidtfoto-Chemnitz

Interview mit Kammerpräsident Frank Wagner

Handwerkskammerpräsident Frank Wagner spricht in einem Interview über die aktuelle Lage für das Handwerk und blickt zurück auf die erste Hälfte des Jahres 2023:

 

Herr Wagner, das Jahr 2023 ist zur Hälfte vorüber. Wie fallen die vergangenen sechs Monate für das Handwerk aus?

Mehr als durchwachsen. Zwar konnten die Preis-Ausschläge nach oben bei den Energieträgern beziehungsweise allgemein beim Strom gebremst werden. Zusätzlich haben die vom Staat eingerichteten Preisdeckel geholfen. Dennoch sind die Kosten für die Betriebe und am Ende auch für die Kunden hoch, was jeder Handwerker alltäglich spürt.

Strom, Gas, Heizöl, Benzin und Diesel: Überall hatte oder hat der Staat temporäre Preisbremsen eingeführt. Das müsste Sie doch zufrieden stellen?

Keine Frage, das hat geholfen, wenn ich an Benzin und Diesel denke. Oder es hilft immer noch beim Blick auf Strom, Gas und andere Brennstoffe. Wir als Handwerkskammer spüren auch, dass Nachfragen der Betriebe zu den Energiepreisen und möglichen Hilfen nachgelassen haben. Das ist kein Zeichen von Resignation, sondern eher ein Hinweis, dass die Betriebe mit den Preisen mehr schlecht als recht umgehen können oder diese sogar ein Stück weit an den Kunden weiterreichen. Hinzu kommt: Die Betriebe sehen die Lage als Herausforderung und investieren gleichzeitig in ihr wichtigstes Potential: Die Mitarbeiter. Wenn wir zum Beispiel die Zahl der neu abgeschlossenen Lehrverträge anschauen. Da haben wir durchgängig mehr Verträge im Vergleich zum Vorjahr. Das ist ein starkes Signal, das es nicht in allen deutschen Kammerbezirken gibt.

Also doch nicht so durchwachsen?

Doch. Wie gesagt: Die Belastungen bleiben hoch und man kann die Einkaufspreise – und darunter fällt nun mal auch die Energie – nicht Eins-zu-eins an den Kunden weitergeben. Die Betriebe bleiben ein Stück weit auf den Kosten sitzen. Das Geld fehlt aber dann wiederum an anderer Stelle, zum Beispiel beim Personal oder bei Investitionen in den Betrieb, in neue Maschinen, in Energieeffizienz oder Digitalisierung.

Außerdem sind ja auch andere Produkte weiterhin teuer oder nur schwer verfügbar. Das Phänomen fehlender oder sehr hochpreisiger Materialien, wie Holz, Stahlprodukte oder auch Rohstoffe für Lebensmittel, ist weiterhin da – und das seit vielen Monaten. Die Situation betrifft eigentlich das gesamte Handwerk. Die einen stärker die anderen schwächer. Fragen Sie mal die Lebensmittelgewerke, wie den Bäcker, wie die Lage ist. Oder schauen wir auf den Bau…

Die Konjunkturumfrage der Handwerkskammer vom Frühjahr zeigt, dass vor allem der Baubereich einen konjunkturellen Einbruch erlebt beziehungsweise dieser sich am Horizont schon deutlich abzeichnet.

Ja, das ist ein ernstes Problem. Bauhaupt- und Ausbaugewerbe waren eigentlich immer sehr robust und bei Krisen stets ein Stück weit der Konjunkturmotor, selbst während der Corona-Pandemie. Und jetzt? Jetzt brechen die Aufträge weg. Die Unternehmen arbeiten noch ab, was da ist. Und dann kommt bei vielen die große Leere im Auftragsbuch. Und das im Baubereich, der eigentlich immer genug Aufträge hatte, sowohl von öffentlicher Hand als auch von Privathaushalten.

Woran liegt das?

Die Inflation ist immer noch hoch und macht sich an vielen Stellen bemerkbar. Man spart eben, weil alles teurer geworden ist und schaut genau, welche Ausgaben notwendig sind. Und wie bekämpfen wir aktuell die Inflation? Mit Zinserhöhungen, die sich wiederum auf die Kreditvergabe niederschlagen, womit sich Kredite erheblich verteuern. Damit wird zum Beispiel den Plänen für das neue Eigenheim der vierköpfigen Familie ein Strich durch die Rechnung gemacht. Das ist ein Teufelskreis, aus dem es aktuell aber auch keinen Ausweg gibt. Und sowas spüren eben die Baubetriebe.

Und kann man dagegen etwas tun?

Wir als Handwerk können weder an der Inflation noch an den Zinsen etwas ändern. Auch den Betrieben sind die Hände gebunden. Eigentlich braucht es ein staatliches Konjunkturprogramm, das den Bau unter die Arme greift.

Das ist doch einseitig, wenn ein solches Programm nur den schwächelnden Bausektor unterstützt und alle anderen leer ausgehen.

Das ist zu einfach gedacht. Erstens: Wir haben in den vergangenen Jahren gute Erfahrungen mit solchen Programmen gemacht. Ich denke da nur an die Finanzkrise 2008 und die daran anknüpfend entstandenen Konjunkturprogramme. Die Wirtschaft wurde damit gestützt und die Rezession zumindest abgemildert, wenn auch nicht verhindert.

Zweitens und noch viel wichtiger: Man muss sich auch bei solchen Programmen das große Ganze anschauen. Wer profitiert denn von neuen Straßen und Schienen, von flächendeckender Breitbandversorgung, von sanierten Schulen?

Es profitiert die gesamte Gesellschaft.

Richtig, und das überträgt sich dann auch auf alle anderen Wirtschaftsbereiche. Ich sehe aber leider weder bei der sächsischen Staatsregierung noch bei der Bundesregierung die Erkenntnis, dass ein solches Programm Sinn macht. Überhaupt fehlt das Bewusstsein für die Lage der Betriebe, die ja nicht nur von Inflation und Nachfrageeinbruch geprägt ist, sondern auch vom Mangel an Fach- und Arbeitskräften.

Warum?

Nehmen wir den Freistaat: Die Haushaltsverhandlungen im vergangenen Jahr waren lang und zäh, bis dann im Dezember der Doppelhaushalt verabschiedet werden konnte. Aus Handwerker-Sicht sind einige Dinge enthalten, die wir unterstützen: Die Anhebung des Meisterbonus oder auch die höhere Förderung unserer Überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung im Bildungs- und Technologiezentrum der Kammer. Dennoch werden Ideen, die wir unterbreiten, abgelehnt: Wir hatten zum Beispiel eine Prämie für Ferienpraktika vorgeschlagen, um damit mehr junge Menschen einen Anreiz zu geben, einmal ins Handwerk hinein zu schnuppern. In Sachsen-Anhalt funktioniert das sehr gut, man spricht von einer Erfolgsgeschichte. Und in Sachsen? Der Wirtschaftsminister erklärt sich dafür nicht zuständig, obwohl es ein Wirtschaftsthema ist. Der Kultusminister sieht eine angebliche Benachteiligung anderer Branchen und plädiert dafür, die Entscheidung über ein Praktikum nicht von finanziellen Anreizen abhängig zu machen. Und der Ministerpräsident meint, dass es mehr Praktikumsbetriebe in der Breite brauche, verkennt dabei aber, dass die Betriebe händeringend nach Mitarbeitern suchen und selbstverständlich auch ausreichend Praktikumsplätze anbieten.

Sind die Erfolgschancen für handwerksfreundliche Forderungen auf Bundesebene höher?

Dort aktuell erst recht nicht. Zum einen können wir als regionale Kammer auf dieser Ebene von Natur aus weniger bewegen, haben aber mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks – zumal mit einem sächsischen Präsidenten – eigentlich ein Sprachrohr vor Ort in Berlin. Doch in der Ampelkoalition beschäftigt man sich lieber mit sich selbst. Und das seit zwei Jahren fast durchgängig. Keine Frage, die Bundesregierung arbeitet seit ihrem Start eigentlich durchgängig in einer Phase weltpolitischer Krisen und damit verbundener wirtschaftlicher Folgen. Und man hat in diesem Zusammenhang sicherlich auch nicht alles falsch gemacht: So konnte beispielsweise eine Gasmangellage verhindert werden. Und die Gas- und Strompreisbremsen sowie Härtefallhilfen für andere Energieträger zeigen Wirkung und helfen den Betrieben.

Aber?

Viel zu oft gibt es undurchdachte Schnellschüsse oder das eigene Parteiprogramm wird über alles gestellt, ohne dass Kompromisse möglich wären. Das hin und her bei der Gasumlage. Die ewigen Diskussionen zum Gebäudeenergiegesetz, wo keiner vorher gefragt hat, ob das mit der Technik funktioniert und es überhaupt genug Fachkräfte gibt. Oder es werden eigentlich sinnvolle Förderprogramme kurzfristig gestrichen oder so verschärft, dass keiner sie mehr nutzen kann. Und dann haben wir einen Bundesfinanzminister, für den Sparen statt Investieren das Leitthema ist. Wobei gerade jetzt die Investitionen durchaus sinnvoll wären, Stichwort Konjunkturprogramm.

Dass wir als Handwerk zu einer gemeinsamen Lösung beitragen wollen und bei strittigen Punkten gern aktiv zur Lösung beitragen, steht außer Frage. Aber man wird schlicht nicht gehört. Daher sehe ich auch schwarz für weitere Maßnahmen, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Dann nehmen wir doch jetzt mal ein fiktives Hausaufgabenheft der Bundesregierung und füllen dieses aus – gern auch mit Fristen…

Da verweise ich auf die Resolution, die unsere Vollversammlung Mitte Juni beschlossen hat. Das sind Forderungen beziehungsweise Aufgaben, die sich an die Bundesregierung richten. Die Energiewende und alle damit verbundenen Transformationsprozesse müssen fair, transparent und realistisch umgesetzt werden. Der Transformationsprozess kann aber nur mit gut ausgebildeten Fach- und Arbeitskräften gelingen, an denen es immer mehr fehlt. Eine Bevorzugung Einzelner darf es nicht geben. Und ganz wichtig: Wir brauchen eine nachhaltige Reform der Sozialsysteme – vor allem unter Einhaltung der 40-Prozent-Marke bei den Sozialversicherungsbeiträgen.

Und bis wann das alles?

Ich nenne bewusst keine Zeiträume: Eigentlich muss das alles jetzt zumindest mit der Umsetzung starten. Zwei Jahre hat die aktuelle Koalition vermutlich noch bis zur nächsten Bundestagswahl. Wie dann die Mehrheitsverhältnisse aussehen, wissen wir alle nicht. Aber die Aufgaben werden sich auch nach der nächsten Wahl nicht geändert haben.

Zwei Jahre, in denen das eben beschriebene Hausaufgabenheft nicht angeschaut wird. In der Schule würde man vermutlich von ‚versetzungsgefährdet‘ sprechen.

Ja, das ist ein Bild. Und das Gute ist: Je näher es dem Schuljahr dem Ende entgegen geht, desto mehr strengen sich die Schüler an, um doch noch versetzt zu werden. Die Wahlen sind vielleicht das Spiegelbild: In Sachsen 2024 und im Bund im Jahr 2025. Wahlkampf kann manchmal Wunder bewirken. Ich würde es mir wünschen.

Herzlichen Dank!

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