Interview mit Kammerpräsident Frank Wagner zu den Energiepreisen
Herr Wagner, Anfang März gab es schon einmal ein Interview mit Ihnen. Thema waren auch damals schon die hohen Energiepreise. Sie haben gleich zu Beginn gesagt: „Diese Entwicklung ist eine ernsthafte Gefahr für die Betriebe des Handwerks und die Konjunktur.“ Wie sehen Sie diese Aussage heute?
Leider ist es noch schlimmer gekommen. Wer hatte im März ahnen können, dass Betriebe kurz vor der Schließung stehen, weil sich beispielsweise die Gasrechnung verzehnfacht hat? Eine solche existenzgefährdende Entwicklung hat keiner erwartet. Dass es schwierig werden würde, war absehbar. Aber die Dimension der Preisexplosion, die ja nicht nur das Gas, sondern auch den Strom betrifft, ist extrem.
Was berichten Ihnen die Betriebe?
Die Sorgen sind groß. Die meisten Betriebe können die Preissteigerungen nicht einfach an die Kunden weitergeben und wollen das auch nicht – weil sie wissen, dass auch beim Kunden der Gürtel enger geschnallt werden muss. Andere hingegen geben auf und schließen, meistens für immer. Das sind dann nicht nur zerstörte wirtschaftliche Existenzen, sondern auch private Schicksale. Ganz abgesehen davon, dass bei uns das Handwerk gerade in den ländlichen Regionen mehr ist als nur der Betrieb von nebenan. Handwerk ist eigentlich ein Teil unseres Alltags und der Gesellschaft.
Eigentlich trifft es sozusagen alle?
Natürlich. Energie, egal wie diese erzeugt wird, benötigt jeder Betrieb. Demzufolge haben auch alle die gestiegenen Kosten. Manche kommen damit besser zurecht, weil Gas nur zum Heizen der Werkstatt und der Büros genutzt wird. Für andere ist Gas oder auch Öl aber elementarer Bestandteil in der Produktion. Denken Sie nur an Backöfen, an die Metallbearbeitung oder an Lackierereien.
Eigentlich ist das doch der klare Beleg, dass es jetzt schnell gehen muss mit der Energiewende.
Ich habe immer gesagt, dass die Energiewende, wie sie in Deutschland und Europa vorgesehen ist, am Ende ein wunderbares Konjunkturprogramm für das Handwerk sein wird. Das ist aber kein Prozess, der uns jetzt kurzfristig weiterhilft, abgesehen davon, dass es bei diesem Vorhaben auch viele Schwächen gibt. Irgendwann werden wir den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen und der Atomenergie schaffen. Aber nicht jetzt. Jetzt muss alles genutzt werden, was verfügbar ist. Damit werden wir unabhängiger von Lieferungen aus anderen Ländern und wir drücken auch die Preise auf den Märkten.
Also doch kein Konjunkturprogramm mehr?
Doch, mittel- und langfristig schon. Kurzfristig haben wir ja schon das Problem, dass die SHK-Betriebe sich vor Anfragen der Kunden gar nicht mehr retten können und nicht mehr zum Arbeiten kommen. Man braucht sich hier aber auch nicht wundern, wenn die Politik in Berlin zum Beispiel eine Wärmepumpen-Offensive verspricht, diese aber eigentlich zum Scheitern verurteilt ist.
Warum?
Erstens: Es fehlen schlicht die Wärmepumpen. Wir reden hier von mehrmonatigen Lieferzeiten. Kurzfristig geht da gar nichts. Zweitens: Nicht überall macht eine Wärmepumpe Sinn. Drittens: Es fehlen schlicht die Fach- und Arbeitskräfte in den Betrieben, die die Nachfrage bedienen könnten.
Das ist jetzt nur am Beispiel der Wärmepumpe beschrieben. Man könnte solche strukturellen Fehler auch beim Ausbau der Stromnetze oder beim Bau neuer Windkraftanlagen aufzeigen. Der politische Wille ist das Eine, die Umsetzung in der Realität dann das Andere. Hier erwarte ich mehr Problembewusstsein und eine realistische Sicht auf die Lage von den Verantwortlichen. Darauf hingewiesen haben wir mehr als nur ein Mal.
Der Bund will die Menschen bei den hohen Kosten entlasten und hat drei Programme angekündigt, das letzte Maßnahmenpaket mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro. Das klingt doch gut.
Auf den ersten Blick klingt das wirklich gut. Schaut man genauer hin, stellt man fest: Das ist bisher alles nur beschriebenes Papier. Es fehlen an vielen Stellen noch die konkreten Inhalte. Da sollen Kommissionen eingesetzt werden, die den Gaspreisdeckel erarbeiten. Dann braucht es Abstimmungen mit den Ländern zur Kofinanzierung, die sich aber sperren. Hilfsprogramme speziell für die Wirtschaft sind auch nur vage angedeutet. So kommen wir nicht weiter. Wir brauchen jetzt einen Deckel bei den Strom- und Gaspreisen. Und sollte dieser Deckel nicht ausreichen, braucht es auch jetzt klare Hilfsprogramme für alle Bereiche der Wirtschaft.
Das klingt sehr verärgert.
Es ist einfach ärgerlich, wenn wir seit mehreren Monaten über die hohen Preise sprechen und darauf hinweisen, dass diese Situation die Existenzen der Betriebe gefährdet. Und was passiert in Berlin? Nicht viel. Wir haben diese Zeit nicht mehr. Das Handwerk fährt auf den Abgrund zu und eigentlich müsste jetzt mal die Handbremse gezogen werden, um den Absturz zu vermeiden. Aber in Berlin sieht man weder den Abgrund noch weiß man scheinbar, wie eine Handbremse funktioniert und dass man diese schnell ziehen muss.
Herr Wagner, wagen Sie einen Blick in die Zukunft, vielleicht zum März 2023, wenn der Winter langsam vorbei ist?
Nein. Das kann ich nicht und das kann auch niemand anderes. Wir können nur hoffen: Zum einen, dass der furchtbare Krieg beendet ist und das sinnlose Sterben aufhört. Das ist aber keine Aufgabe des Handwerks. Zum anderen, dass die Betriebe und auch die Bürger den Winter finanziell überstehen, in dem sie von den hohen Preisen entlastet werden und Hilfe erhalten. Und ganz wichtig: Es darf weder zu einer Gasmangellage noch zu großflächigen Stromausfällen kommen.
Klingt nach einem großen Aufgabenheft…
So kann man es auch nennen. Es ist ein Aufgabenheft für uns alle gemeinsam, vor allem aber für die Politik.