Interview mit Kammerpräsident Frank Wagner zu den steigenden Energiepreisen
Herr Wagner, das Handwerk ächzt unter den hohen Energiepreisen: Vor allem die Preise bei Benzin, Diesel und Strom kennen derzeit keine Grenzen.
Diese Entwicklung ist eine ernsthafte Gefahr für die Betriebe des Handwerks und die Konjunktur. Dass die Preise steigen, war schon vor dem Krieg in der Ukraine der Fall. Durch die schrecklichen Ereignisse hat sich gerade bei den Treibstoffen die Entwicklung aber nochmal verstärkt. Das sehen wir alle an der Zapfsäule oder aber auch bei der Strom- und Heizrechnung.
Haben Sie eine Erklärung für diese Entwicklung?
Ich bin kein Energieexperte. Aber hier kommen einige Dinge zusammen: Zum einen die energie- und klimapolitischen Vorhaben in Deutschland und Europa und der damit verbundene Umbau der Wirtschaft. Auf der einen Seite ist das langfristig für uns als Handwerk ein Konjunkturprogramm, das es so wohl noch nicht gegeben hat. Auf der anderen Seite sind damit aber teilweise hohe Kosten verbunden und politisch so gewollt. Denn wo etwas mehr kostet, ist der Drang zum Sparen natürlich größer. Aber ein Handwerker kann eben nicht in diesem Maße bei Diesel oder Strom sparen, wenn er dem Kunden das bestellte Produkt liefern muss.
Haben Sie ein Beispiel?
Nehmen wir die Reinigungsfirma. Die arbeitet beim Kunden, der in den meisten Fällen nicht neben dem Firmensitz zu finden ist, sondern ganz oft viele Kilometer zu fahren sind. Jegliche Preiskalkulation ist aber hinfällig, wenn innerhalb weniger Wochen die Preise für Treibstoff derart nach oben gehen. Der Vertrag mit dem Kunden, der in der Regel schon weit vorher geschlossen wurde, deckt diese Spritpreise aber nicht. Und selbst wenn: Auch der Kunde ist von der Inflation betroffen und sucht nach Sparmöglichkeiten. Das ist eine Spirale, die sich immer weiter dreht.
Aber das ist doch nicht der einzige Grund.
Nein. Natürlich ist der furchtbare und durch nichts zu rechtfertigende Krieg in der Ukraine neben dem unermesslichen Leid der Menschen auch eine weltweite wirtschaftliche Krise, die auf die Energiepreise durchschlägt. Solche Unsicherheiten führen immer zu Spekulationen an den Märkten. Preissteigerungen sind die Folge. Und gerade Deutschland ist nun einmal besonders abhängig von russischem Gas und Öl. Diskussionen über mögliche Embargos sind, solange es keinen mengenmäßigen Ersatz gibt, in meinen Augen hinfällig. Wir müssen mit dieser Abhängigkeit umgehen.
Der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien, wie er von vielen Politikern in Bund und Land gefordert wird, ist keine Alternative?
Ein Ausbau der erneuerbaren Energien bringt uns vielleicht mittel- und langfristig etwas. Selbst wenn man die Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigt, hilft das uns Handwerkern aktuell an der Zapfsäule oder beim Brief des Energieversorgers mit der Stromrechnung für das Vorjahr nicht weiter. Wir brauchen kurzfristig Maßnahmen, die schnell Wirkung zeigen und keine unsinnigen Diskussionen zum Ausbau der Erneuerbaren. Ich appelliere hier an die Politik, die Lage realistisch einzuschätzen und sich von parteiprogrammatischen Grundpfeilern zumindest aktuell zu verabschieden. Es darf kein Tabu mehr geben, um die Energiesicherheit, verbunden mit Preisstabilität, in Deutschland zu gewährleisten.
Sie meinen den Kohle- und Atomausstieg?
Davon wird man sich vorerst verabschieden müssen. Und erst wenn hier wirklich eine Kompensation durch die erneuerbaren Energien vorhanden ist, kann der Ausstieg kommen, denn die weltweiten Unsicherheiten werden in den kommenden Jahren nicht weniger werden. Ja, das alles kostet Geld – vor allem bei den Atomkraftwerken. Aber was bleibt uns anderes übrig? Eine richtige Rezession durch die Energiepreise würde am Ende noch viel mehr Geld kosten.
Gibt es überhaupt kurzfristige Möglichkeiten, um die Preisentwicklung zu bremsen?
Hier kann nur der Staat durch die Senkung von Steuern und Umlagen eingreifen. Auch das kostet Geld. Und es bleibt uns wieder nichts anderes übrig, um die wirtschaftliche Krise, die ohnehin durch die Corona-Pandemie vorhanden ist, abzuschwächen. Was wir hier nicht brauchen, sind symbolische Entlastungen, deren Wirkung schnell verpufft oder beim Verbraucher gar nicht ankommt. Die Abschaffung der EEG-Umlage bringt am Ende gar nichts, wenn die Beschaffungskosten für Strom im gleichen Atemzug noch deutlich zunehmen. Ähnlich verhält es sich mit der Erhöhung der Pendlerpauschale.
Mehrwertsteuer, Stromsteuer, Umlagen, Energiesteuer, die CO2-Abgabe bei Treibstoffen: Das wären die Stellschrauben, die es gibt.
Zeitlich begrenzt?
Die Abschaffung beziehungsweise Senkung muss sofort kommen – ohne Wenn und Aber. Und aufgrund der aktuellen Lage darf es hier vorerst auch keine Befristung geben. Die wirtschaftlichen Folgen werden uns noch lange beschäftigen.
Sie sprechen von Folgen. Welche meinen Sie neben den Energiepreisen noch?
Im Kfz-Bereich berichten uns die Autohäuser, dass sie große Existenzängste haben, weil schlicht keine Neuwagen mehr verkauft werden können. Das war schon vor dem Ukraine-Krieg aufgrund des Chipmangels ein Problem. Jetzt sind auch die internationalen Zulieferer-Ketten gestört und nichts geht mehr. Die Lieferketten – auch für andere Rohstoffe – betreffen aber auch andere Bereiche des Handwerks.
Das klingt alles sehr düster.
Ja, leider! Wir haben in Europa und der Welt nicht nur eine humanitäre und politische Krise, sondern damit verbunden auch eine wirtschaftliche. Das muss man sich immer vor Augen halten und jegliches Handeln danach ausrichten. Das betrifft uns als Handwerkskammer genauso wie die Betriebe, aber auch die Politik und die Gesellschaft.