„Leipziger Erklärung“ beim Handwerkspolitischen Forum Ost übergeben
Die Auftragsbücher vieler Handwerksbetriebe in Ostdeutschland sind auf Monate hinweg gefüllt. Gleichzeitig steht die Branche vor großen Herausforderungen. Steigende Kosten, Materialengpässe, unsichere Lieferketten und dazu die weiterhin schwierige Suche nach neuen Fachkräften. In der „Leipziger Erklärung“ machen die Handwerkskammern deutlich, welche Rahmenbedingungen es braucht, um trotz dieser Herausforderungen zu wachsen – das war Kernthema des zweiten Handwerkspolitischen Forum Ost (HAFO).
Ohne das Handwerk geht es nicht. In diesem Punkt waren sich alle Teilnehmer bei der zweiten Auflage des HAFO einig. Bei der viel diskutierten Energiewende nimmt das Handwerk eine zentrale Rolle ein, doch es fehlt vielerorts Personal und Material. In Krisenzeiten muss sich das Handwerk neu aufstellen und fordert in der „Leipziger Erklärung“ Unterstützung von der Politik.
Die Grundlage für eine erfolgreiche Energiewende braucht aus Sicht der Handwerkskammern aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern vor allem einen fortlaufenden Dialog zwischen Politik, Handwerk und Industrie. Darüber hinaus müsse ein größerer Fokus auf Aus- und Weiterbildung, effizientere Genehmigungsverfahren sowie ein Abbau von Bürokratie gelegt werden, heißt es in der Erklärung.
Jörg Dittrich, Präsident der Handwerkskammer Dresden betont: „Das Handwerkspolitische Forum Ost ist eine zentrale Plattform für die ostdeutschen Handwerkskammern zum Austausch mit der Politik. Deshalb war es uns eine Herzensangelegenheit, dass das Forum wieder in Präsenz durchgeführt werden kann – wenn auch zu einem anderen Zeitpunkt als gewohnt. Oberste Priorität für das Handwerk haben eine bezahlbare und stabile Energieversorgung und die aus der Energiewende erwachsenden Herausforderungen an die Branche, die sich durch den Krieg in der Ukraine nochmals verschärft haben. In der ‚Leipziger Erklärung‘ machen die ostdeutschen Handwerkskammern in Richtung Bundes- und Länderregierungen deutlich, dass die Energiewende nur mit dem Handwerk machbar ist. Eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende braucht ein Mehr an Ausbildung sowie verlässliche und vorhersehbare Rahmenbedingungen.“
Leipziger Erklärung anlässlich des Handwerkspolitischen Forums Ost:
Energiewende nur mit dem Handwerk machbar!
Deutschland steht vor enormen energie- und klimapolitischen Herausforderungen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die Erhöhung der Energieeffizienz sind dabei zentral für das Gelingen der Energie- und Klimawende. Bei der Umsetzung der größten Beschleunigungswelle des Ausbaus der erneuerbaren Energien kommt dem Handwerk eine entscheidende Rolle zu. Dafür benötigt das Handwerk mehr denn je verlässliche Rahmenbedingungen, um Arbeits- und Ausbildungsplätze zu sichern und seinen Beitrag zur Wertschöpfung in Deutschland zu leisten. Wir setzen uns dafür ein, dass unsere Handwerksbetriebe diese zentrale Rolle wahrnehmen können.
1. Energiewende braucht den Dialog zwischen Herstellern, Handwerk und Politik
Ohne Handwerk wird es keine erfolgreiche Energiewende geben. Die Ausgestaltung der Energiewende wird von den Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik und nicht zuletzt von einer Kommunikation auf Augenhöhe und Transparenz bestimmt. Industrie, Handwerk und Politik müssen als gleichberechtigte Partner kontinuierlich im Dialog stehen. Die Unternehmen brauchen zusätzlich zu klaren und verbindlichen Rahmenbedingungen, eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die durch umfassende Gründungs-, Innovations- und Wachstumsförderung ein gesundes Investitionsklima schafft. Alle Dialogpartner benötigen eine realistische Bewertung der Umsetzbarkeit der energiepolitischen Agenda, die sich mit den zeitlichen Vorgaben, technologischen Herausforderungen verbunden mit Technologieoffenheit, den Kosten sowie benötigten Investitionen, Kapazitäten und vor allem dem hohen und gleichzeitig entsprechend qualifiziertem Personalbedarf kritisch auseinandersetzt.
2. Energiewende braucht ein Mehr an Qualifizierung
Nur mit ausreichend qualifizierten Handwerkerinnen und Handwerkern können die ambitionierten Klimaschutzziele der Bundesregierung erreicht werden. Das Handwerk entscheidet also über die Umsetzung der Klimaneutralität und somit über die Zukunftsfähigkeit des Standortes Deutschland. Vor diesem Hintergrund muss die Bedeutung und Wertschätzung der beruflichen Aus- und Weiterbildung im Handwerk stärker in den Fokus gerückt werden. Berufliche und akademische Bildung müssen als gleichwertige Alternativen verstanden werden. Die mit der demografischen Entwicklung einhergehende Verknappung des Fachkräftepotenzials wird den Wettbewerb um qualifiziertes Personal zusätzlich anheizen. Die Bedeutung der Ausbildung des Nachwuchses im Handwerk sowie der permanente Qualifizierungsbedarf zur Bewältigung der Energiewende bedürfen eines Wandels beim Denken und Handeln. An dem bewährten System der dualen Berufsausbildung ist festzuhalten: Das Qualifizierungsniveau im Handwerk darf keinesfalls zugunsten von einseitigen Zertifizierungsmaßnahmen aufgeweicht werden, denn nachhaltige Wartung und Optimierung komplexer Systeme bedarf der Erfahrung von Meistern und Gesellen.
3. Energiewende braucht moderne Ausbildungsbedingungen in den Bildungszentren
Bildung ist der Schlüssel für eine beruflich sichere Zukunft und Erfolg. Unsere Handwerksbetriebe stellen zusammen mit den Bildungszentren das Fundament der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Moderne Werkstätten, Unterrichtungs- und Schulungsräume bilden die Grundlage für eine Aus- und Weiterbildung, die die Herausforderungen der Energiewende erfolgreich meistern. Das Anliegen, eine hohe Ausbildungsqualität zu garantieren und in diesem Zusammenhang die Attraktivität der beruflichen Ausbildung zu erhöhen, ist von gesamtgesellschaftlichen Interesse. Daher ist eine kontinuierliche Förderung der Bildungszentren unter Beachtung steigender Energie- und Materialkosten zu gewährleisten. Hier muss die Politik ein klares Bekenntnis zur Bewältigung des Fachkräftemangels abgeben, um die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Handwerksbetriebe und damit des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu stärken.
4. Energiewende braucht effizientere und schnellere Genehmigungsverfahren
Die dringend notwendige Planungssicherheit für Handwerk und Mittelstand bei der Umsetzung der Energiewende muss durch eine generelle Beschleunigung und Vereinfachung der Förderverfahren flankiert werden. Verwaltung und Genehmigungsverfahren sind daher zu modernisieren, zu entbürokratisieren und zu digitalisieren mit dem Ziel, die Verfahrensdauer deutlich zu senken, d. h. mindestens zu halbieren. Kurzfristig sind mittels elektronischer Antragsverfahren Bearbeitungsdauer und gleichzeitig Kosten zu reduzieren. Insgesamt sind breit zuwendungsfähige und niedrigschwellige Förderprogramme aufzulegen. Eine Abkehr von der ganzheitlichen Prüfung hin zu einer stichprobenartigen Prüfung der Förderanträge – die Vertrauen statt Kontrolle voraussetzt – ist zu favorisieren.
5. Energiewende braucht Entlastung des Handwerks von Bürokratie
Mit den Herausforderungen der Energiewende dürfen die Belastungen des Handwerks durch Bürokratie nicht noch weiter zunehmen. Besonders kleine Handwerksbetriebe müssen verhältnismäßig hohe zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen einsetzen, um bürokratische Vorgaben zu bewältigen. Ein verbindlicher KMU-Praxistest ist daher in die Gesetzesfolgenabschätzung aufzunehmen, die Komplexität von Regelungen sowie umfangreiche Dokumentationspflichten sind zu reduzieren sowie grundlegend kleinbetriebliche Strukturen bei der Rechtssetzung zu beachten. Die einmalige Datenerfassung (once only) sowie die Regelung, dass für jede neue Vorschrift zwei bestehende gestrichen werden (one in, two out), müssen endlich in der Praxis umgesetzt werden.
6. Energiewende als nationale Anstrengung und europäischer Vorbildfunktion begreifen
Die Handwerksbetriebe tragen die anspruchsvollen und ambitionierten Ziele der Energiewende aktiv mit – als Energienutzer wie auch als Anbieter innovativer Produkte und Dienstleistungen. Die Herausforderungen der Klimakrise und der Energiewende können wir jedoch nur gemeinsam in einer nationalen Anstrengung aller Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik und der Menschen vor Ort umsetzen. Es muss uns gelingen, die Energiewende wirtschaftlich und technologisch zum Erfolg zu führen und ebenso sozial verträglich zu gestalten. Im europäischen Kontext muss Deutschland als starker, innovativer und verlässlicher Partner agieren, nicht zuletzt unter Beachtung der schwierigen geopolitischen Lage.