Rede von Kammerpräsident Frank Wagner anlässlich der Vollversammlung
Es gilt das gesprochene Wort!
"Liebe Handwerkskolleginnen und Handwerkskollegen,
ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer zweiten Vollversammlung in diesem Jahr, zu der die gewählten Vertreter des Handwerks wichtige und grundlegende Beschlüsse fassen, ohne die wir als Handwerkskammern nicht agieren können, seien es Wirtschaftsplan und Kammerbeitrag oder die Besetzung wichtiger Posten durch Wahlen. Und wir nutzen die Versammlung, um über die Lage des Handwerks zu sprechen. Umso mehr freue ich mich, dass wir hier und heute den sächsischen Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr begrüßen dürfen. Herzlich willkommen, lieber Martin Dulig.
Sie sind lange genug im Amt, um zu wissen, dass Kammern und Verbände beziehungsweise deren Mitglieder nie mit der aktuellen Lage und dem Handeln der Akteure zufrieden sind. Das ist fast schon eine Gesetzmäßigkeit, soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass natürlich nicht alles falsch ist und daher Lob und Anerkennung finden müsste. Aber Sie sind auch lange genug auf dieser Bühne aktiv, um zu wissen, dass man mit Lob und Anerkennung eher spart. In Baden-Württemberg sagt man dazu auch – ins Hochdeutsch-Sächsische übersetzt:
'Nicht geschimpft ist genug gelobt!'
Aber über was schimpfen denn nun unsere Handwerksbetriebe? Und was loben sie? Zwei schwierige Fragen und Sie ahnen schon, wie die Antwort sein wird: Nicht einfach. Schimpfen und Loben sind aber nun mal auch Bestandteil von Zusammenkünften des Handwerks.
Geschimpft wird stets über die eigene Lage, denn sie könnte natürlich immer besser sein. Blicken wir auf die Ergebnisse unserer Herbst-Konjunkturumfrage, so setzt sich die Berg- und Talfahrt der vergangenen Monate und Jahre fort. Waren viele Gewerke durch Corona-Pandemie, Energiepreise oder Materialverfügbarkeiten eher am Boden, so geht es jetzt mit diesen leicht bergauf. Ganz anders sieht es dagegen beim Bau aus. Immer Konjunkturtreiber gewesen, blicken die Betriebe plötzlich sorgenvoll auf die aktuelle Lage und vor allem in die Zukunft. Die Gründe sind bekannt. Lange hat es gedauert, bis das Bewusstsein für diese Lage auch angekommen ist. Denn wenn der Bau in der Krise ist, nicht mehr genug Betriebe und Fach- und Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, haben wir ein großes wirtschaftliches und am Ende auch gesellschaftliches Problem.
- Wer sorgt für neuen Wohnraum, baut neue Kitas und Schulen oder übernimmt energetische Sanierungen von Bestandsbauten?
- Wer baut Brücken, Straßen und Schienen?
- Wer übernimmt die Tiefbauarbeiten, um eine flächendeckende Breitbandversorgung zu erreichen?
Zwar gibt es durchaus Ansätze zur Problemlösung – jetzt kommt sogar das erste Lob. Ich erinnere nur an die Ergebnisse des Wohnungsbaugipfels. Aber da sind wir schon wieder beim Schimpfen: Zwar wurden 14 Punkte beschlossen, um den Wohnungsbau anzukurbeln. Ob mit den Vorschlägen die Baugewerke wirklich aus ihrer konjunkturellen Talsohle herauskommen, ist eine andere Frage. Natürlich würden die Beschlüssen in der aktuell schwierigen Lage helfen. Knapp zwei Monate nach Ende des Gipfels sind aber bisher weder auf Landes- noch auf Bundesebene die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen gelegt – zumindest hört man nichts mehr davon. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen Mittwoch macht die Lage hier vermutlich auch nicht einfacher.
Insgesamt ist das Verzögern – unabhängig von besagtem Urteil – kein Zeichen, kein Signal der Politik, dass die Not wirklich auch erkannt wurde. Ein Beispiel möchte ich noch nennen, bei dem ich Bauschmerzen habe, ob das wirkliche Maßnahmen zur Krisenbewältigung sind: Vor knapp anderthalb Wochen wurde ein sogenannter Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung vorgestellt. Abgesehen davon, dass der Pakt zwar zwischen Bund und Ländern vereinbart wurde und die Baubranche nicht direkt daran beteiligt ist – Letzteres würde ich eigentlich eher unter einem Pakt verstehen –, liegt auch hier der Fehler im System: Der Kanzler verkündet nämlich, dass zur Umsetzung des Pakts rund 100 Einzelmaßnahmen erforderlich sind. Bei dieser Zahl sieht man von Weiten in großen Buchstaben schon wieder das Wort Bürokratie am Horizont – abgesehen davon, dass vermutlich bis zur Umsetzung wieder viel Zeit vergehen wird, ohne dass etwas passiert. Sie merken schon an meinen Ausführungen, welche negative Bedeutung diese Bau-Krise hat. Ich habe daher viel in der Kategorie Schimpfen gesprochen.
Ich weiß, liebe Vollversammlungsmitglieder, es gibt aber noch mehr als den Bau. Allerdings muss ich noch einen Punkt ansprechen, wenn der zuständige Minister heute unser Gast ist: Das sächsische Vergabegesetz, dass eben auch andere Gewerke betrifft.
Lieber Herr Dulig, seit vielen Monaten sprechen wir mit Ihnen über die Novellierung des sächsischen Vergabegesetzes. Seit vielen Monaten machen Kammern und Verbände deutlich, was beim neuen Gesetz drin stehen kann und was gar nicht geht. Bei Letzterem gibt es einige Punkte, da können wir nicht einfach zustimmen und Sie wiederum wollen diese auch nicht weglassen. Die Gründe dahinter sind unterschiedlich. Fakt ist aber: So kommen wir zu keiner Einigung. Ich möchte nur einen Punkt nennen, der entscheidend ist: Einen zusätzlichen Vergabemindestlohn einzuführen, macht keinen Sinn und stellt die Tarifautonomie auf die Probe. Wozu braucht es einen Vergabemindestlohn? Diese Frage konnte den Kammern nicht beantwortet werden und für uns als Handwerk kann es so keine Novellierung des Vergabegesetzes in Sachsen geben. Nur ein Beispiel, wie abstrakt und am Ende auch schlecht für die Betriebe das alles wäre: Nehmen wir einen Betrieb X, der unter anderem öffentliche Aufträge annimmt. Er zahlt entweder den aktuell bundesweit geltenden Mindestlohn oder ein Entgelt auf Basis eines bundesweit gültigen Rahmentarifvertrages, das aber wiederum unter dem sächsischen Vergabemindestlohn liegen würde. Die öffentlichen Aufträge wären damit weg, obwohl die Firma bisher alles richtig gemacht hat. Lohnerhöhungen kann sich der Betrieb nicht leisten und er ging bisher davon aus, dass er mit dem eigentlichen Mindestlohn oder der Einhaltung des ausgehandelten Tarifvertrages korrekt gehandelt und angemessen bezahlt hat.
Das geht nicht und daher lehnen wir das neue Vergabegesetz ab. Es ist aber auch nicht schlimm, wenn kein neues Gesetz kommt. Denn zum einem gibt es in Sachsen ja ein geltendes Vergabegesetz. Hinzu kommt, dass viele Punkte, die mit dem neuen Gesetz Vergabe-relevant geworden wären, auch heute schon Berücksichtigung finden können. Und was entscheidend ist – gerade auch mit Blick auf den Bau: Mehr Aufträge an den Bau würde es mit dem neuen Gesetz nicht geben. Wozu also das Ganze?
Jetzt habe ich viel geschimpft und wenig gelobt. Aber Loben darf nicht zu kurz kommen. Mit Blick auf die Ausbildungszahlen unserer Handwerksbetriebe stellt man fest: Die Betriebe wollen ausbilden – egal wie groß die Krise ist oder welche Belastungen es gibt:
- Die Baubetriebe, die immer weniger Aufträge haben, bilden trotzdem aus.
- Die Friseure oder die Kfz-Betriebe, die trotz Abschwächung immer noch die hohen Energiepreise spüren, bilden trotzdem aus.
- Die Lebensmittelgewerke, die die Kaufzurückhaltung der Verbraucher trotz leicht zurückgehender Inflation immer noch spüren, bilden trotzdem aus.
Das ist ein tolles Signal. Denn das wichtigste Gut eines jeden Handwerksbetriebes sind gut ausgebildete Fach- und Arbeitskräfte. Bei den neu eingetragenen Lehrverhältnissen haben wir das Vor-Corona-Niveau längst überschritten – ein Fakt, der noch nicht in allen deutschen Kammerbezirken so zu spüren ist. Ausbildungsplätze gibt’s auch genug. Dass man als Betrieb durch eigene Ausbildung den Mangel an Fach- und Arbeitskräften langfristig nicht beheben kann, ist wiederum auch ein Fakt. Die verstärkte Anwerbung ausländischer Mitarbeiter kann daher durchaus ein Weg sein, den man gehen sollte – solange sich dieser an den Realitäten vor Ort anlehnt und mit den Betrieben gemeinsam beschritten wird. Der Freistaat hat hier erste Weichenstellungen im Frühjahr getroffen. Nun gilt es, diese auch anzugehen.
Andererseits: Potential für angehende Handwerkerinnen und Handwerker gibt es auch zu Genüge in unseren Schulen. Die jungen Menschen zum Handwerk zu bringen, ist eine entscheidende Aufgabe. Und hier muss ich nochmal schimpfen, Herr Dulig: Sachsen-Anhalt spricht von einer Erfolgsgeschichte. Niedersachsen will nachziehen. Auch in NRW gibt es Bestrebungen, das einzuführen. Ich rede von einer Prämie für Ferienpraktika im Handwerk. Allerdings stößt diese Prämie in der sächsischen Staatsregierung auf wenig Gegenliebe, obwohl man mit wenig Mitteln viel erreichen könnte für das Handwerk, das bei den Regierungsfraktionen wortwörtlich große Bedeutung hat. Ich zitiere aus dem aktuellen sächsischen Koalitionsvertrag:
'Wir werden die Bedürfnisse und Interessen von Mittelstand und Handwerk besonders berücksichtigen.'
Aber nicht alles sollten wir kritisieren mit Blick auf den Freistaat: Loben möchte beispielsweise ausdrücklich das Wirtschaftsministerium für neue oder fortgeführte Förderprogramme oder dafür, dass die Landes-Mittel für die ÜLU-Finanzierung auf einem Niveau sind, das eine Dreiteilung der Kosten annähernd erlaubt. Ein starkes Signal seit Sommer 2022.
Jetzt kommt das ABER – diesmal an den Bund gerichtet. Man hätte auch sagen können: Läuft es an der einen Stelle mal ganz gut, gibt’s woanders wieder neue Probleme: Denn was macht der Bund bei den Haushaltsplanungen für 2024? Er kürzt die ÜLU-Mittel wieder um 11 Millionen Euro. Nach langem hin und her wurden sie zwar jetzt wieder auf den ursprünglichen Betrag angehoben. Der reicht aber eigentlich gar nicht aus. Kürzungen beziehungsweise keine Anhebungen gibt es auch bei der Investitionsförderung für die BTZs, obwohl hier deutlich mehr Mittel nötig wären in den kommenden Jahren. Nur so können die Einrichtungen auf dem neuesten Stand sein und den Azubis auch Bedingungen bieten, die sie benötigen. Um nochmal auf das Urteil aus Karlsruhe zurückzukommen: Die Gefahr ist groß, dass im Bundeshaushalt vielleicht kurz-, mit Sicherheit aber mittelfristig neue Einsparungen kommen werden. Angesichts der Erfahrungen bei den ÜLU-Mittel und den BTZs habe ich die große Befürchtung, dass auch hier der Rotstift wieder angesetzt wird, obwohl das entscheidende Stellen sind – nicht nur für das Handwerk, sondern für die gesamte Gesellschaft. Denn ohne Fach- und Arbeitskräfte wird es nichts werden mit der Klima- und Energiewende.
Manch Beobachter spricht hier von einem Raumschiff mit Blick auf das politische Berlin, was man angesichts des Handelns durchaus so nachvollziehen kann: Weit weg von den eigentlichen Problemen und nicht erreichbar, um diese anzusprechen. Das betrifft ja nicht nur die beiden eben geschilderten Probleme. Ein letztes Beispiel sind die Strompreise. Zwar sind diese erfreulicherweise wieder gesunken. Andererseits erwartet die Verbraucher wieder eine Steigerung von 10 Prozent ab 2024 bei den Netzentgelten, was wiederum die meisten spüren werden – auch die Betriebe, egal ob groß oder klein. Vergangene Woche angekündigt wurde zwar die Absenkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe, worunter auch Teile des Handwerks fallen. Für die industriellen Großverbraucher gibt es aber einen Extra-Rabatt beim Strompreis. Wer hat davon was? Das Handwerk auf alle Fälle nicht, das doch eigentlich eine so wichtige Rolle spielt. Auch Sie, Herr Dulig, setzen sich für diesen Stromrabatt ein, der aber eine krasse Benachteiligung für viele Teile unserer Wirtschaft wäre. Das spüren die Betriebe, deren Mitarbeiter und am Ende auch die Verbraucher. Nur ein Beispiel von vielen, das aber zu Unzufriedenheit führt. Man kann zu jeder einzelnen Partei stehen, wie man will. Man kann deren Programm ablehnen oder befürworten. Am Ende werden Wahlen entscheiden. Sie sind glücklicherweise in einer Demokratie das entscheidende Mittel, um zu zeigen, ob man mit dem Handeln der Politik zufrieden ist oder nicht.
Im Bund haben wir voraussichtlich noch bis 2025 Zeit, bis die Menschen wieder ihr Kreuz setzen. In Sachsen stehen nächstes Jahr wieder Wahlen an. Die Regierungsbildung könnte kompliziert werden und ich werde mich hüten, irgendeine Wahlempfehlung abzugeben. Der Freistaat ist seit der Wiedervereinigung einen sehr erfolgreichen Weg gegangen – vermutlich den erfolgreichsten unter den ostdeutschen Bundesländern. Diesen Weg sollten wir beibehalten durch eine problemorientierte Politik, die auf Dialog-und Kompromissbereitschaft setzt und den Menschen zuhört. Das ist mein großer Wunsch an uns alle.
Herzlichen Dank!"