"Wichtiger ist doch, dass jetzt der berühmte Ruck kommt"
Herr Wagner, zweimal pro Jahr führen wir mit Ihnen ein Interview – jeweils zum Jahresende und im Sommer. Und egal zu welchem Zeitpunkt: Es gab in den letzten Jahren eigentlich kein solches Gespräch, in dem nicht auf völlig neue Entwicklungen eingegangen werden musste, weil diese auch Folgen für das Handwerk haben.
Ja, die 2020er-Jahre sind eine schwierige Zeit mit einer komplizierten Gemengelage. 2020 der Beginn der Corona-Pandemie, die bis 2022 deutlich zu spüren war. 2021 eine neue Bundesregierung. 2022 der Ukraine-Krieg mit all seinen Folgen bis heute. Und 2024 politische Weichenstellungen beziehungsweise Wahlen, die Folgen haben werden.
Sie sprechen die Landtagswahlen in Sachsen an?
Nicht nur. Es gab ja die Europawahl. Es gab weitere Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen. Es gab eine Wahl in den USA und es gab die Entscheidung für Neuwahlen des Bundestages. Und alles hat Folgen für das Handwerk, teilweise ganz direkt mit Blick auf Land, Bund und Europa. Teilweise auch indirekt mit Blick nach Washington.
Blicken wir zurück auf 2024. Beginnen wir mit Dresden.
Die Landtagswahlen haben komplizierte Mehrverhältnisse gebracht. Dass damit eine Regierungsbildung schwierig werden würde, haben wir spätestens beim Abbruch der Sondierungsgespräche gesehen. Wer daran Schuld hat, möchte ich nicht bewerten. Viel wichtiger ist doch, dass sich die gewählten Parteien in irgendeiner Form zu Mehrheiten zusammenfinden, um endlich die dringend notwendigen Entscheidungen zu treffen, die Wirtschaft und Gesellschaft im Freistaat voranbringen.
Den letzten Satz könnte man so auch auf Berlin beziehen, oder?
Ja, eindeutig, wobei hier die Wahlen noch bevorstehen und man noch dringender endlich eine Bundesregierung bräuchte, die den Ernst der Lage erkennt und gemeinsam handelt. Das war in den vergangenen drei Jahren meistens nicht der Fall.
Haben Sie eine Wunsch-Koalition in Sachsen und im Bund?
Sicherlich gibt es Parteien und Kandidaten, die den Fokus mehr auf die wirtschaftliche Entwicklung legen und eher erkennen, wo der Schuh im Handwerk drückt. Ich möchte aber niemanden hervorheben. In Sachsen ist die Regierungsbildung auf der Zielgeraden, wobei spannend zu beobachten sein wird, wie sich eine mögliche Minderheitsregierung Mehrheiten beschafft. Aber das ist nicht meine Aufgabe. Beim Bundestag vertraue ich den Wählern, dass sie ihr Kreuz an der Stelle bei jener Partei machen, die das Richtige für das Land unternehmen will. Die Wahlprogramme werden hierzu Auskunft geben und jeder kann anhand dessen auch entscheiden.
Wenn schon keine Wunsch-Koalition, dann können Sie vielleicht aber eine Aussage zu den größten Wünschen des Handwerks machen.
Oberste Priorität muss die Verabschiedung eines Haushalts haben, sowohl im Land als auch im Bund. Solange keiner beschlossen ist, gilt eine vorläufige Haushaltsführung und viele Gelder können nicht ausgezahlt werden.
Welche Folgen hätte das für das Handwerk?
Es fehlen die Mittel für die ÜLU, für den Meisterbonus, für Förderprogramme und ganz allgemein natürlich auch jene Gelder für Investitionen in Infrastruktur. Manches wiegt schwerer. Anderes wiederum lässt sich überbrücken. Dass wir aber aufgrund der Entwicklungen im Land und im Bund gleichzeitig voraussichtlich bis zum Sommer ohne beschlossenen Haushalt auskommen müssen, macht die Lage schwierig – zumal die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Situation der Betriebe einen solchen Schwebezustand nicht einfacher machen.
Das ist aber schon länger bekannt.
Natürlich ist mir bewusst, dass nach Wahlen die Wahlsieger stets einen neuen Haushalt mit den eigenen Prioritäten erstellen und verabschieden lassen, was naturgemäß länger dauert. Aber in Dresden dauert nach dem Scheitern der ersten Sondierungen die Regierungsbildung ohnehin schon länger. Bei der sich abzeichnenden Minderheitenregierung braucht es dann natürlich auch bei der Haushaltsverabschiedung stimmen aus der Opposition, was Verhandlungen bedeutet, die wiederum noch mehr Zeit kosten.
Die vorgezogene Bundestagswahl kommt mit Blick auf den Haushalt zur Unzeit. Für 2025 wäre sicherlich auch irgendwie eine Ampel-Einigung für einen Etatplan möglich gewesen. Jetzt haben wir im Februar Bundestagswahlen und man kann sich selbst ausrechnen, wie weit nach hinten sich dann alles verschieben wird.
Irgendwann wird aber auch das Problem behoben sein. Was wünscht sich das Handwerk dann?
Ich könnte jetzt all das aufzählen, was das Handwerk schon seit Jahren fordert: Bürokratieabbau, mehr Geld für die duale Berufsausbildung, Investitionen in Infrastruktur. Das sind alles Baustellen, an denen es hakt, die aber in den meisten Fällen immer weiter bestehen, ohne dass es eine wirkliche Verbesserung gibt. Wir als eine der drei sächsischen Handwerkskammern richten unseren Fokus aber eh stärker auf Landesthemen, wo es einige Punkte und Wünsche des Handwerks gibt. Die Vollversammlung der Handwerkskammer Chemnitz hat hierzu kürzlich ein Forderungspapier verabschiedet. Darin enthalten sind mit Blick auf eine neue Regierungskoalition bestimmte Kernforderungen für die kommenden fünf Jahre.
In aller Kürze…
Berufsorientierung und Ausbildung, Strukturen innerhalb der Landesverwaltung, Gesetze und Bürokratie. Das ist alles nicht neu. Manches aus dem Forderungspapier steht sogar in den Wahlprogrammen der Parteien, beispielsweise die Prämie für Ferienpraktika im Handwerk.
Wir wollen aber nicht nur fordern, sondern auch gern an der Problemlösung mitwirken. So ist zum Beispiel auch der Vorschlag für eine Allianz für Bürokratieabbau zu verstehen, in der unter Mitwirkung aller Betroffenen der Weg zum Bürokratieabbau institutionalisiert wird und gemeinsam konkrete Beschlüsse und Ideen umgesetzt werden könnten.
Haben Sie Hoffnung, dass das Eingang ins Regierungshandeln finden wird – auch angesichts der schwierigen Haushaltslage und vor allem auch der unklaren Mehrheitsverhältnisse?
Mehrheiten braucht es in einer Demokratie immer. Das ist nicht das wirkliche Problem. Beim Haushalt stimme ich Ihnen zu. Aber wenn man in der aktuellen wirtschaftlichen Lage nicht endlich zur Einsicht kommt, den Betrieben jetzt unter die Arme zu greifen und deren Rahmenbedingungen zu verbessern, dann wird die Haushaltssituation doch auch nicht besser werden. Das gilt ja nicht nur für das Land, sondern auch für den Bund.
Warum?
Wenn Unternehmen aufgrund ausbleibender Aufträge Mitarbeiter entlassen, wenn sie bei der Ausbildung sparen oder gar schließen, dann belastet das doch erst recht die Einnahme- und Ausgabeseite des Staates: Sinkende Steuereinnahmen bei gleichzeitig höheren Sozialausgaben – damit wird etwas in Gang gesetzt, dass nur schwerlich wieder einzufangen ist.
Wie blicken Sie angesichts der Beschreibung auf das Jahr 2025?
Unsere Gesellschaft rutscht seit 2020 von einer Krise in die nächste – in der Regel unverschuldet, aber gleichzeitig sehr herausfordernd. Und welche Auswirkungen hatten diese Krisen? Ich sage es Ihnen: Corona war eine harte Zeit, die auch wirtschaftliche Existenzen vernichtet hat und Einschränkungen der Grundrechte mit sich brachte. Aber wir haben es überstanden. Die hohen Energiepreise mit Beginn des Ukraine-Krieges waren hart, konnten aber durch verschiedene Maßnahmen abgefedert werden. Und jetzt haben wir eine wirklich tiefgreifende konjunkturelle Krise. Um diese zu meistern, braucht es jetzt konsequentes Handeln. Dass wir das in Deutschland können, zeigen die eben genannten beiden Beispiele.
Aber Sie haben auch viel Kritik zur Corona-Zeit und während der Energiepreis-Krise geäußert.
Natürlich ist man nicht mit jeder Entscheidung einverstanden. Das geht nicht nur mir so, sondern auch vielen anderen Menschen. Wichtiger ist doch, dass jetzt der berühmte Ruck kommt: In Sachsen und im Bund durch neue Regierungen, die die Lage erkennen und handeln. Auch mit diesem hoffentlich bald kommendem Ruck werden nicht alle zufrieden sein. Aber er kann und muss eine Richtung vorgeben.
Herzlichen Dank!
(*Das Interview wurde noch vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen in Sachsen geführt.)